Die Macht der (falschen) Zahlen – Warum der Zug in Kaisersesch endet

Seit Mitte 2000 fahren die RegionalBahnen (RB 38) von Andernach kommend wieder über Mayen hinaus über die Eifelquerbahn bis zum Bahnhof Kaisersesch. Damit ist seinerzeit die erste Stufe des 1998 durch das Ingenieurbüro Gehrmann erstellten Gutachtens zur Reaktivierung der Eifelquerbahn umgesetzt worden. Für die weiterführende Strecke Kaisersesch – Gerolstein war seinerzeit die Zeit noch nicht reif, als Vorlauf wurde ab 2001 allerdings ein regelmäßiger Touristikverkehr an Wochenenden eingerichtet.

Um diesen Streckenabschnitt ist seither und insbesondere nach der vorläufigen (?) Einstellung der Touristikverkehre 2012 eine lebhafte Diskussion entbrannt. Während einerseits die Reaktivierung des täglichen Nahverkehrs (SPNV) vom zuständigen Zweckverband im Rahmen des Konzepts „Rheinland-Pfalz-Takt 2015“ beschlossen worden ist, wurden andererseits immer höhere Kosten für die Reaktivierung ermittelt und die volkswirtschaftliche Sinnhaftigkeit damit in Frage gestellt. Vor Ort zeigt sich die Resignation der Politik nicht zuletzt in den jüngsten Beschlüssen, die Trasse in einen Radweg umzubauen. Doch was ist dran, an den Zahlen?

 

Standardisierte Bewertung und Reaktivierungsbeschluss

Aufbauend auf den Untersuchungen von Gehrmann im Jahr 1998 ist BPV Consult 2009 beauftragt worden, die Reaktivierung des Abschnitts Kaisersesch – Gerolstein auf einer aktualisierten Datenbasis zu untersuchen. Hierzu sind die erreichbaren Fahrgastpotenziale sehr sorgfältig ermittelt und auch die Kosten zur Ertüchtigung der Infrastruktur abgeschätzt worden. Diese und weitere Daten waren Grundlage für die sogenannte „Standardisierte Bewertung“, nach der deutschlandweit ÖPNV-Vorhaben nach einem einheitlichen Verfahren bewertet und auf ihren volkswirtschaftlichen Nutzen hin untersucht werden. Bei angenommenen Investitionskosten von rund 20 Mio. Euro wurde für den „Mitfall 3“, d.h. die Reaktivierung des Gesamtabschnitts Kaisersesch – Gerolstein ein äußerst positiver Nutzen-Kosten-Faktor von 1,79 ermittelt, d.h. die volkswirtschaftliche Sinnhaftigkeit nachgewiesen. Zur Erläuterung: Ein Vorhaben ist dann volkswirtschaftlich sinnvoll, wenn ein Wert über 1,0 erreicht wird.

Bahnhofseinfahrt bei Ulmen

Auf dieser Grundlage ist seinerzeit vom Zweckverband SPNV Nord die Reaktivierung beschlossen worden und die Entwurfs- und Genehmigungsplanung zur Ertüchtigung der Infrastruktur bei Büro BPB in Auftrag gegeben worden. Ab diesem Zeitpunkt beginnt der Teufelskreis aus fragwürdigen Zahlen, falschen Annahmen und fatalen Entscheidungen.

 

Fragwürdige Zahlenwerke

Das Koblenzer Fachbüro BPB begann 2011 im Auftrag des Landes und des Zweckverbandes SPNV Nord sodann mit der Entwurfs- und Genehmigungsplanung gemäß der HOAI-Leistungsphasen 1-4, die Voraussetzung für die Plangenehmigung bzw. Planfeststellung ist. Bei dieser intensiven Untersuchung der vorhandenen Infrastruktur erhöhen sich die Kosten von vormals rund 20 Mio. Euro (BPV) auf neu über 40 Mio. Euro. Nun kann eine intensivere Betrachtung der Infrastruktur naturgemäß auch Kostensteigerungen nach sich ziehen. Es besteht an dieser Stelle allerdings der Verdacht, dass BPB seitens des Auftraggebers zur Unterstellung deutlich überhöhter Standards gedrängt wurde, wohl mit dem Ziel, die Reaktivierung auf diesem Wege noch zu stoppen.

Was veranlasst zu dieser Annahme? Als wesentlicher Kostentreiber hat sich bei der Durcharbeitung der Unterlagen die vorgeschlagene zusätzliche Sicherung der vorhandenen Bahnübergänge entpuppt. Demnach sollen sogar einfache, kaum genutzte Feld- und Wirtschaftswege mit Halbschranken- sowie Lichtzeichenanlagen gesichert werden, was bisher nicht der Fall war, obwohl diese nachrangigen Bahnübergänge, bei entsprechend guter Einsehbarkeit, mit maximal 60 km/h befahren werden können. So ist es beispielsweise auch östlich von Kaisersesch auf dem aktiven Abschnitt der Strecke realisiert worden. Es ist daher kaum nachvollziehbar, warum im Abschnitt zwischen Kaisersesch und Gerolstein eine vergleichbare Sicherung der Bahnübergänge durch die Übersicht auf die Strecke sowie ergänzende akustische Signale der Züge nicht möglich sein soll.

Blick auf das Viadukt des Maare-Mosel-Radweges bei Daun

Auch der Gleiskörper selbst ist ein wichtiger Bestandteil des BPB-Gutachtens und auch der größte Einzelposten mit mehr als 16 Millionen Euro. Während drei andere Gutachter (Gehrmann 1998, BPV 2009 und StadtLandBahn 2014) unabhängig voneinander zu dem Ergebnis kommen, dass sich die Strecke in einem überwiegend guten Gesamtzustand befindet und punktuelle Sanierungsmaßnahmen ausreichen, kommt das BPB-Gutachten abweichend zu dem Schluss, dass eine stark kostentreibende komplette Erneuerung des Streckenoberbaus notwendig ist.

Dies sind nur zwei Beispiele, die zeigen, welch hohe Ausbaustandards hier gefordert wurden – letztlich mit dem einzigen Ziel, das Nutzen-Kosten-Verhältnis unter die Schwelle der Förderwürdigkeit (1,0) zu schieben. Dieses Ziel wurde 2012 erreicht, indem BPV beauftragt wurde, die Standardisierte Bewertung von 2009 mit den von BPB ermittelten neuen Infrastrukturkosten zu aktualisieren. Bemerkenswert ist dabei der ausdrückliche Hinweis von BPV, dass die Ergebnisse von BPB durch BPV gemäß Auftrag nicht weiter überprüft bzw. hinterfragt werden sollten! Im Ergebnis führt dies zu den offenbar gewünschten neuen Nutzen-Kosten-Quotienten von nur noch 0,37. Damit war die Förderwürdigkeit des Projekts durch das Land nicht mehr gegeben und die Reaktivierung des SPNV in weite Ferne gerückt.

 

Neubewertung dringend erforderlich

Die Diskrepanzen zwischen den Gutachten sowie insbesondere der unterstellte Ausbaustandard und der ausdrückliche Auftrag an BPV, diesen nicht zu hinterfragen, mehren die Zweifel an den zuletzt genannten Kosten von 40. Mio. Euro für eine Reaktivierung der Strecke. Ebenso sind die diskutierten 24 Mio. Euro für rein einen touristischen Verkehr zu hinterfragen, da viele Annahmen der hierzu erfolgten Untersuchung des Büros „Stand, Land Bahn“ auf den zu hohen Ansätzen von BPB aufbauen.

Sanierter Bahnübergang zwischen Dockweiler und Betteldorf

Es erscheint daher an dieser Stelle zur Versachlichung der Diskussion dringend geboten, die unterstellten Ausbaustandards kritisch zu hinterfragen und auf einer aktualisierten Datenbasis (Kosten und auch Nutzen) eine neue Standardisierte Bewertung durchzuführen. Gerade vor dem Hintergrund der Debatten um Klimaschutz und Verkehrswende können wir es uns schlichtweg nicht leisten, eine vorhandene Eisenbahninfrastruktur auf Grundlage äußerst fragwürdiger Zahlen für immer zu vernichten!

 

Großzügige Förderung möglich

Wird ein förderwürdiger Nutzen-Kosten-Quotient > 1,0 erreicht – und davon gehen alle Fachleute aus – besteht grundsätzlich die Möglichkeit einer 85%-igen Förderung der Investitionskosten durch das Land. Die entsprechende Förderrichtlinie sieht sogar eine ebensolche Förderung für ein entsprechendes Gutachten vor. Voraussetzung ist allerdings, dass die Trasse in kommunalem Eigentum steht.

Die Kaufabsicht haben die Kreise und Kommunen bereits geäußert und teils beschlossen – allerdings für den Bau eines kaum günstiger ausfallenden Radwegs. Hier liegt es also nahe, diese voreilige und nicht mehr zeitgemäße Festlegung zu überdenken und stattdessen mit den interessierten Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU), der Eifelbahn aus Linz bzw. der Brohltalbahn aus Brohl-Lützing das Gespräch zu suchen und gemeinsam ein geeignetes Modell zu entwickeln, um die Eifelquerbahn in eine erfolgreiche Zukunft zu führen.

 

Download “Eifelquerbahn – Zahlen, Fakten, Mythen”

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